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Der stille Beobachter

Sebastian Schulte (18) ist offizieller Fotograf der Passion – Auch als Darsteller wirkt er mit

Die Kamera ist sein ständiger Begleiter: Sebastian Schulte geht in der Fotografie auf. (FOTO: REA)

VON ANTONIA REINDL

Oberammergau – Im Hintergrund, unauffällig am Rande mit dem Fokus aufs Zentrum, findet man Sebastian Schulte. Bei den Passionsspielen steht er nun als Darsteller auf der Bühne. Aber auch abseits davon bleibt er aktiv. Aus gutem Grund: Der 18-Jährige weiß jenseits von Bühnen und Trubel zu brillieren. Schulte ist ein passionierter Beobachter. Er fängt Momente, Blicke, Bewegungen ein, die andere schaffen. Und weil er davon viel versteht, haben sich die Verantwortlichen der Passionsspiele den Oberammergauer nicht nur als Kaiphas-Diener, sondern auch als Fotograf geschnappt. Die Sonne scheint kräftig an diesem Vormittag, lässt den Schnee glitzern. Auf einer Bank am Landeplatz für die Drachen- und Gleitschirmflieger sitzt Schulte, passionsgetreu schon mit langen Haaren und mächtigem Bart. Neben ihm ein schwarzer Quader, seine Fototasche, sein – fast – ständiger Begleiter. Im Inneren geschützt bewahrt er seine „Lieblingskamera“ auf, wie er das Modell, eine Canon 1 DX Mark III, nennt. Die Sonne scheint in sein Gesicht, kräftig, grell. Dieses Licht sei zum Fotografieren nicht gerade optimal, verrät er. Das beste gebe es in der Blue Hour und der Golden Hour, also in der Morgen- und Abenddämmerung sowie vor Auf- und Untergang der Sonne.

Seit Jugendtagen fotografiert der 18-Jährige. Alles fing mit einem Camcorder seines Vaters an, dessen Zoom Schulte strapazierte, um im Österreich-Urlaub Geier und Adler einfangen zu können. Später fielen ihm die Spiegelreflexkameras seines Onkels in die Hände. Das erste eigene Objektiv ließ nicht lange auf sich warten. Als Jugendlicher konzentrierte er sich zunächst auf die Natur. Schnell erweiterte der Oberammergauer sein Repertoire um Veranstaltungen und Konzerte, schließlich fotografierte Schulte für das Kloster Ettal und das Gymnasium, an dem er heuer seinen Abschluss gemacht hat. Erlernt hat der Ammertaler das Handwerk durch „langes Ausprobieren und Schauen, was geht oder nicht“, sagter.

Was mir noch schwerfällt, ist, wenn Leute ungemütlich vor der Kamera stehen, Angst vor der Kamera haben.
— Sebastian Schulte

2018, kurz bevor die Namen der Passionsdarsteller bekanntgegeben wurden, hatte daheim das Telefon geklingelt. „Hier ist Abdullah“, meldete sich eine Stimme. Schulte sollte ins Passionstheater kommen. Dass da Abdullah Kenan Karaca am Apparat sprach, der zweite Spielleiter, hat er erst gar nicht so recht begriffen. Im Theater angekommen, lagen zahlreiche Bewerbungen auf dem Tisch. Auch seine. „Mit einem besonderen Bild“, das sein Bruder gemacht, aber er selbst bearbeitet habe, erzählt Schulte. Ehe er sich versah, wurde er zum Fotografen der Passion auserkoren.„Jetzt bin ich fest angestellt“, sagt der 18-Jährige und lächelt.

Der Fotokünstler hält aber mehr fest als die weltberühmten Laienspiele vom Leiden, Sterben und von der Auferstehung Jesu. Auf seiner Homepage finden sich eine Auflistung vieler verschiedener Auftraggeber sowie ein Portfolio: Menschen und Gesichter, Konzerte, Sportevents und Traditionen, urbanes Leben, Landschaften, Natur. Dass er noch Erfahrungen sammelt, daraus macht Schulte keinen Hehl. „Was mir noch schwerfällt, ist, wenn Leute ungemütlich vor der Kamera stehen, Angst vor der Kamera haben“, gesteht er. Auch mit seinen Astrofotografien ist er „noch nicht ganz zufrieden“. Doch vielleicht ist Schulte auch einfach zu sehr Perfektionist. „Ich finde immer etwas, was besser sein könnte“, sagt er und grinst.

Panoramareihe als aktuelles Projekt

An Ambition mangelt es wenig. Steht etwas Neues an, nimmt er sich oft zu viel vor. 2020 hat er rund 27 000 Aufnahmen gemacht, im vergangenen Jahr „nur“ um die 20 000, sagt er. Bei tausenden Fotografien im Jahr stellt sich die Frage, welche seiner Bilder seine vier Wände zieren dürfen. „Alte Bilder in Schwarz-Weiß“, sagt Schulte, der nach der Passion Kinematografie studieren möchte. Das Matterhorn, die Brooklyn Bridge, Footballstar Tom Brady. Neben einigen Kameras und etliche Objektiven finden sich aber auch ein Schlagzeug und eine Gitarre in seinem Zimmer. Wenn er an die Instrumente denkt, erinnert er sich unweigerlich an Konzerte, die er fotografiert hat. Von der Musik, den Bands habe er dabei nie wirklich etwas mitbekommen. Wenn ihn jemand bei der Arbeit anspricht, braucht er erst einmal etwas Zeit, um zu begreifen, was gesagt wurde –und was er antworten muss. Er versinkt in seinem Tun. Eins mit der Kamera scheint Schulte den Fokus allein auf das Bild zu legen, von dem ei-nen Sinn gänzlich ergriffen. Erst, wenn er sie beiseite legt, hört der 18-Jährige die Musik.

Gerade arbeitet er an einer Panorama Reihe. Dafür, aber auch für gewöhnlich, macht er sich Pläne, ehe er für ein Motiv aufbricht. Stundenlang wartet er selten auf den perfekten Moment. Auch wenn das schon vorkam. In Norwegen etwa, als er Sterne fotografieren wollte. Zwei, drei Stunden lag er auf der Lauer. Am Ende kamen Wolken in die Quere. Oft braucht es einfach Glück, weiß der Oberammergauer und denkt an 2020 zurück: In aller Herrgottsfrüh beabsichtigte Schulte, den Supermond abzulichten. Doch war der gar nicht mehr so groß wie erhofft. Da wartete der Ammertaler eben auf den Sonnenuntergang. Er drückte ab: Eines seiner Lieblingsbilder war entstanden.

Artikel aus dem Garmisch-Partenkirchner Tagblatt
Nr. 13/Dienstag, 18. Januar 2022

Englische Übersetzung: The silent Observer